Statement

Stellungnahme meiner Mitbewohnerin
Stellungnahme 1
Stellungnahme 2

Ein Gedanke zu „Statement“

  1. „Punk ist tot, wenn er ein beschissener Männerverein ist“

    Zum Statement von dem Bielefelder Sänger HC BAXXTER bezüglich der ihm gegenüber getätigten Anschuldigungen.

    Zur Sache: Dem Künstler „Schinken“ wird von einer anonymen Gruppe vorgeworfen sich mehrfach grenzüberschreitend verhalten zu haben. Darüber hinaus wird ihm vorgeworfen, dieses Verhalten nach getätigter Ansprache nicht angemessen reflektiert und verändert zu haben. Die anonyme Gruppe versendete Infomails als Veranstalter*innen, um sie auf die bestehenden Vorwürfe aufmerksam zu machen. Die Gruppe begründete das anonyme Vorgehen mit Sorge vor Stigmatisierung und Abwehr.

    In einem am 14. Juni 2024 veröffentlichten Statement auf der eigenen Homepage und auf seinem Instagram Profil äußert sich der Sänger nun in einem Statement.

    Auf dieses Statement wird hier Bezug genommen. Zurzeit erfreut es sich auf Instagram 645 likes bei einer Followeranzahl von 4.757. Stand: 15.06.2024

    Direkt zu Beginn des Statements auf dem zweiten Slide erklärt der Sänger, dem übergriffiges Verhalten vorgeworfen wird, der Leser*innenschaft die Wichtigkeit der wachsenden Sensibilität innerhalb der Musikszene und betont gleichzeitig, dass die ihm gegenüber getätigten Vorwürfen zu ungenau formuliert seien, konkrete Taten würden nicht benannt. Nichts Konkretes also?

    Nichts Konkretes Sexismen verändern sich im Laufe der Zeit. Sie sind nicht immer so offensichtlich wie es früher der Fall war. Sie zu benennen ist jedoch immer noch stark mit Sanktionen verbunden wie früher. Schuld, Scham und Schande sind häufig drei zentrale Elemente die Betroffene patriarchaler (und sexualisierter) Gewalt erleben, wenn sie den Mut aufgebracht haben Täter (machen wir uns nix vor, der Begriff wird nicht gegendert) und Tat(en) zu benennen. Der Schutz von Betroffenen der häufig nur durch Anonymität und „keine Konkreten Erzählungen“ gewahrt werden kann, die unabdingbare Solidarität und das ernst nehmen der Betroffenen sollten zum feministischen 1.1 gehören und zu keiner Zeit und unter keinen Umständen angezweifelt werden.

    Im nächsten Slide geht der Sänger in die „Erklärung“. Er stellt eine Vermutung auf um welche Personengruppe es sich bei den anonymen Verfasser*innen handelt könnte und benennt dabei, dass er mit einer assoziierten Person davon in einer nahen Beziehung stand „die leider nicht gut geendet ist“ weil der Sänger sich in seine Nachbarin verliebt hat. Uff. Was wird hier aufgemacht? Das Narrativ der eifersüchtigen Ex-Beziehungsperson? Die jetzt gemeinsam mit den anderen Xantippen seinen Ruf ruinieren will? Aus Fun und Langeweile? Aus Rache? Weil sie womöglich nicht fähig ist erwachsen und reif mit ihren Gefühlen umzugehen?

    Die rachsüchtige Ex-Beziehungsperson und der persönliche Konflikt Na, ertappt? Wer sowas denkt hat sich definitiv mit den eigenen Sexismen und den eigenen Haltungen zum Thema patriarchaler Gewalt auseinandergesetzt. Wir alle sind so sozialisiert worden, dass wir sowas denken, das an sich ist nur ein Resultat unserer Erziehung im Patriarchat. Sich jedoch damit kritisch auseinander zu setzen, solche sexistischen Vermutungen und Deutungen nicht als Wahrheit anzunehmen-das wäre feministisch! Wie immer gilt auch hier: Persönliche Beziehungs-Konflikte führen nicht zu Anschuldigungen des übergriffigen Verhaltens! Persönliche Beziehungs-Konflikte sind keine Erklärung und auch keine Entschuldigung für dieses Verhalten! Das Private ist und bleibt politisch!

    Feministisch wäre auch, solche „Erklärungen“ und implizite Schuldzuweisungen, sowie Vermutungen über die Identität der Verfasser*innen zu unterlassen und stattdessen Verantwortung für das eigene Handeln in der Vergangenheit und Zukunft zu unternehmen. Wie? In dem man als angeblich pro-feministischer Punk bei Konzerten mal „FLINTAS to the Front“ ausruft. Oder in dem man es unterlässt, einen selbstgeschriebenen Song darüber wie sehr man als cis-Mann nicht von sexualisierter Gewalt betroffen ist und dass das ja irgendwie auch echt so ungerecht ist, zu performen und Betroffenen von sexualisierter Gewalt in die Fresse zu schreien.
    Im Statement geht’s nun weiter mit Erklärungen der Reflektiertheit des Sängers dazu, dass er als damals 35-jähriger eine Beziehung mit einer 21-jährigen FLINTA-Person angefangen hat, die Beziehung auf romantischer Ebene mittlerweile beendet ist und sie weiterhin befreundete Mitbewohner*innen sind.

    Die besagte Mitbewohnerin schrieb ebenfalls ein Statement, in dem sie sich wünscht als erwachsene Person ernstgenommen und nicht paternalistisch betrachtet zu werden. Durchaus sehr nachvollziehbar. Sie stellt klar, dass sie mit dem Sänger eine gute Beziehungserfahrung gemacht hat. Das ist natürlich eine schöne Sache, die Leser*innen selbstverständlich denken lässt: „ach guck mal, ja wenn sie das sagt, dann glaub ihr das und das zeigt ja auch, dass er ein guter Kerl ist.“ Aber ist das so?

    „Schinken-bester Mann“ Wir wissen nicht wie viele Menschen, FLINTAS, was anderes sagen würden. Wir wissen nicht wie viele Statements von FLINTAS unveröffentlicht geblieben sind. Wir wissen nicht, wie sich der Sänger in anderen Beziehungen und sexuellen Situationen in seinem Leben verhalten hat. Was wir wissen, ist, dass es eine Gruppe von FLINTAS gibt, die es als Notwendigkeit sehen sich den unfassbaren emotionalen und psychischen Stress zu machen Veranstaltende auf übergriffiges Verhalten des Sängers hinzuweisen, mit Rückfragen umgehen müssen, bereits eine offenbar turbulente Geschichte mit dem Sänger haben, ihn offenbar bereits auch bereits erfolglos konfrontiert haben.

    Im weiteren Verlauf des Statements äußert sich der Sänger zu den beiden Vorwürfen. Der erste Vorwurf seine Position als älterer Sänger gegenüber jüngeren Fans auszunutzen und diese „abzuschleppen“ weist der Sänger von sich und begründet dies mit Zahlen (300 Konzerte, 5 intime Kontakte, davon 2 unter 25 Jahre alt) und zwei weiteren Statements von ebendiesen ehemaligen U-25 Sexualpartner*innen. Das konsequente Verwenden des Wortes „Abschleppens“ in Bezug auf jüngere FLINTAS kann eventuell ein Hinweis auf das Reflexions-Level des Sängers sein. Hier wird eventuell immer noch davon ausgegangen, dass FLINTAS, wie Autos, wie Gegenstände also, abschleppbar wären. Eine gewaltvolle Metapher, wenn man mal so überlegt. Angekettet auf einen Schlepper gezogen und an einen anderen Ort gebracht zu werden.

    Im zweiten Vorwurf geht es inhaltlich darum, dass der Sänger einen unangemessenen Alkoholkonsum hatte, unter dessen Einfluss er sich grenzüberschreitend verhielt. Dies gibt der Sänger direkt im zweiten Satz zu. Er verweist jedoch darauf, dass er sich immer dafür entschuldigt habe. Hier sind wir nun an dem Punkt, an dem das Statement eindeutige Hinweise auf das Reflexionslevel des Sängers gibt.

    „Ich hab mich doch entschuldigt“ man kann sich nicht selber entschuldigen. Erst recht nicht für grenzüberschreitendes Verhalten möchte ich hinzufügen. Grenzüberschreitendes Verhalten ist durch nichts zu entschuldigen, muss aufgearbeitet, reflektiert und als Gewalt anerkannt werden. Wenn der Sänger, wie hier anzunehmen ist, davon ausgeht, dass eine Entschuldigung ausreicht, dann ist das nun der Beweis dafür, dass das Reflexionslevel hier (noch) recht weit unten ist. Was machen erlebte Grenzüberschreitungen mit jungen FLINTAS in AZ´s durch Punksänger? Ohnmachtsgefühle, Schuld, Scham, Schande, AZ´s unattraktiv, Punkkonzerte zu unsicheren Orten, sich eklig fühlen, sich unsicher fühlen all das kann eine Grenzüberschreitung auslösen. Und dafür kann man sich nicht mal eben so entschuldigen. Dafür kann man um Verzeihung bitten.

    „Ja sorry, dass du dich jetzt betroffen fühlst“ Im Statement macht der Sänger nun weiter mit näheren Ausführungen bezüglich seiner bereits erfolgten Verhaltensänderungen und fährt anschließend mit einer Zusammenfassung fort. Hier wird nochmal der persönliche Konflikt als Faktor für die Anschuldigungen ihm gegenüber hervorgehoben. Anschließend geht’s weiter mit ‘nem Hashtag als Anlaufstelle für Menschen die „sich betroffen fühlen“. Das Reflexionslevel ist nun im Minus-Bereich. Der erfahrenen feministischen lesenden Person rollen sich nun die Nägel hoch. Der Sänger hat sich grenzüberschreitend verhalten. Durch ihn sind einige Personen betroffen von Gewalt. Sie fühlen sich nicht so. Sie sind es. Schuld ist er. Sein Verhalten entschuldigen können nur die Betroffenen.

    Abschließend kriegen alle nochmal ne Mailadresse genannt, bei der man das Täter-Umfeld dazu befragen kann wie sich der Täter denn so gemacht hat. Cool. Bandkolleg*innen werden dazu aufgerufen dem Sänger zu bescheinigen was für ein toller Hecht er ist. Dann verabschiedet sich der Sänger erstmal für ne Woche. Es ist ihm einfach alles zu viel.

    Persönliche Anmerkung:
    Mit diesem endgültigen Tritt in die Fresse stehe ich jetzt da als ehemaliger Fan. Als Frau. Als Person die auch sexualisierte Gewalt erlebt hat. Durch Männer. In AZ´s.

    Schinken, du kannst dich entziehen. Du kannst eine Woche abschalten. Du kannst dein Umfeld für dich die Falten rausbügeln lassen. Weißt du wer das nicht kann? Menschen die Grenzüberschreitungen erlebt haben. Die haben nämlich oft Scham und langwierige Folgen. Was das heißt? Angst vor Männern, Flashbacks, nicht mehr ohne mindestens 3 Freund*innen zu Konzerten gehen, sich vorher und nachher lange Sachen anziehen, nie Alkohol trinken, weil Typen wie du zu viel trinken, immer die Kontrolle behalten müssen, jahrelang Therapie machen müssen, denn du warst nie der einzige Mann, der sich scheiße verhalten hat. Du bist einer von vielen und wie man in deinem Statement sieht, du kannst (noch) nicht reflektieren.

    Was mich so richtig verunsichert sind die 645 Likes unter deinem Statement. Von wem hast du sie bekommen? Wofür hast du sie bekommen? Weil du dich zu den Vorwürfen äußerst? Das ist das Mindeste. Weil du teilweise versuchst zu zeigen, dass du Verantwortung übernimmst? Das ist das Mindeste. Weil es zeigt, dass es dir nicht scheißegal ist wie du dich verhalten hast? Das ist das Mindeste. Du machst das Mindeste und kriegst 645 Likes. Das ist Patriarchat. Aber ist das Punk? Und ist er dann bald tot?

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